Stille

Am vierundzwanzigsten März dieses Jahres ist in mir eine Stille ausgebrochen. Alles Denken hat sich über einen Haufen geworfen, und ist nicht mehr ordenbar geworden.

Käthe Kollwitz 1930

Seither ist ein Krieg in Europa ausgebrochen, und es hat ein Frühling stattgefunden, die Natur hat sich wieder in ihre ganze Pracht hineingewachsen, ist mit ihrer Phantasie eine Augenweide geworden, wie in jedem Frühjahr, ein Wunder.

So gesehen ist meine Betrachtung der Welt einer anderen gewichen. Dabei folge ich den Mustern meiner Weltsicht, die darin besteht, Mutter UND Künstlerin zu sein. Nicht um einen Erfolg ringend, das stimmt, daran messe ich sozusagen die Heldenhaftiigkeit der Unternehmung. Das Präkäre an diesem Gleichgewicht besteht im Aushalten. Sich nichts nehmen zu lassen von der Ruhe, dem Bedürfnis nach Menschennähe, Geborgenheit, selbstgemachter Ernährung.

Die Auseinandersetzung mit dem, was die eigenen Hände machen, bedeutet die Konfrontation mit Grenzen. Den Grenzen des Wissens, des Wollens, der Illusion. Aufgedeckt bleiben sie ein Trümmerhaufen, der dazu geeignet ist die stärksten Emotionen auf den Plan zu rufen. Wut ist die eine Kraft, die andere ist Angst vor dem Versagen. Tiefe Schluchten. Wer schon einmal nach einem langen Tag müde und erschöpft, sein ganzes Werk in einem verschmolzenen Kumpen aus dem Brennofen geholt hat, weiss, wie der Kampf gegen die Tränen verläuft.

Meine Gedanken, über dem Haufen des Krieges in der Ukraine wabernd, sichten, wie es meiner Seele entspricht, Gleichheiten. Gleiche Menschen, Geschwister, die nichts anderes suchen als Unterschiede. Hier genauso wie irgendwo anders auf der Erde. Migranten unterscheiden sich von den sesshaften Menschen in sämtlichen Gegenden durch irgendetwas. Die beliebtesten Trennmittel lassen sich schnell auflisten: Sprache, Hautfarbe, Kleidung. Unsichtbar sind solche wie etwa Religion, Moralvorstellungen, Esskultur, Musikalität. Wer fühlt sich nicht bemüssigt, im ersten Satz hurtig herauszustreichen, was ihn von seiner Nachbarin unterscheidet.

Mich unterscheidet nichts von allen anderes Menschen auf der Welt. Ich bin Lebewesen, zeitlich anberaumt für eine Lebensspanne, die ich mir nicht aussuche. Räumlich bestimmt durch die Koordinaten, die mein Handy vermisst, ein hüpfendes blaues Pünktchen.

Da stellt sich die Frage, wie das Problem des Umgangs mit Mitlebewesen zu gestalten wäre, die in ihren Hirnen keine Empathie haben. Bei denen das gesamte Areal mit der Funktion fehlt, sich einzufühlen, zu verstehen, in dem sich Eigenschaften wie Mitleid, Hilfsbereitschaft, Neugier befinden. Business Bosse gehören dazu, Kriegsgewinnler, Menschanhändler, Zuhälter. Wie geht ein Handwerker damit um, dass andere ihre Wut nicht in den Griff bekommen, und Gewalt anwenden.

Ich weiss keine Antwort. Stille.

Und doch, taucht da eine Idee auf, dass ich versuchen will, einer Handvoll Kindern das beizubringen, wie es möglich ist, seine wilden Emotionen in den Ton hineinzukneten. Dort ist ein sicherer Ort, in dem sich die Wut entbrennt und eine Transformation stattfindet, vor deren Schönheit berührt, schon gesagt wurde- zum Niederknieen. Damit die Kinder ihre Einzigartigkeit, ihre Gemeinsamkeit mit den anderen und den vernünftigen Umgang mit den eigenen Grenzen lernen. Im Kleinen kann sich vielleicht das Auswachsen in die Monströsität beruhigen in Zufriedenheit.